An Tagen wie diesen kommt es einem so vor, als ob die Stadt lebt. Tausende Fenster, die wie Augen in der Dunkelheit flimmern, überblicken sie und beobachten das Geschehen tief in den Klippen der Urbanität. Ihre Einwohner durchströmen die Straßen und wenn man sie lange genug beobachtet, erscheint es einem beinahe, als ob sie durch die Menschen atmet. Wie Luft, die ihren Weg in die Lunge findet und wieder entweicht, laufen mal mehr und mal weniger Menschen in die eine oder andere Richtung. Steht man oben auf den Dächern, besser noch auf dem höchsten Gebäude der Stadt, so kann man alles sehen, auch wie verschwindend klein, gar unbedeutend die Menschen unter einem wirken.
Aber man selber bleibt dem nicht verschont. So blicken die Sterne wie Götter auf einen hinab, ihre Blicke brennen sich in den Rücken, als ob sie es schon in der Luft spüren würden, was der Abend bringt. Weinen sie um einen? Trauern sie? Oder sind sie beschämt, dass sie den Anblick ertragen müssen?
Du bist beschämt, oder? Stehst auf einem Dach, dass das Licht so perfekt abschirmt, dass du deine Hände nicht sehen musst. Warum bist du hier? Hoch über der Stadt, begleitet und umarmt durch die frischen Briesen, die nur eine Sommernacht hervorbringen kann. Guckst du hoch in die Sterne ,siehst du vielleicht Bilder, die du erkennst, aber das traust du dich nicht. Weil es dich zurückbringt, zu Nächten wie dieser. Zu Nächten die zu sehr riechen wie diese, sich anhören wie diese und welchen du fühlst wie diese.
Wie es wohl sein mag dort oben? Sie fühlen nicht, wie sollten sie auch? Es sind ja nur Sterne. Dennoch betrachtet und bewundert sie jeder. Wie kann etwas, das nicht fühlt, so schön sein? Vielleicht mag das auch der Punkt sein.
Ein Hupen reist dich aus den Gedanken und für einen Moment scheint er hier zu sein. In deinem Augenwinkel siehst du ihn, schwarz wie ein Schatten läuft er auf dich zu. Du drehst dich um, doch dann ist er weg, aber das war alles, was es gebraucht hat, um deine Lunge mit Wasser und deine Adern mit Eis zu füllen. Dein Herz stimmt ein bekanntes Lied der Panik in deinen Ohren an, als sich die Erinnerungen in dein Bewusstsein zwängen. Du sehnst dich so sehr nach ihm, dass es dir das Herz aus der Brust reist, und Anstelle nur die Angst tritt. Was soll denn passieren sollte er kommen? Was sagt man? Was redet man? Was soll man fühlen? Die Furcht vor dem Ungewissen frisst sich durch den Körper und lässt einen nicht mehr los. Und darum bist du hier.
Wie soll es den weiter gehen, mit diesem Schmerz als Begleiter, der sich nicht tilgen lässt. Nicht von dir jedenfalls, aber der der es könnte ist nicht hier.
Du trittst an die Kante, die alte Metallplatte knarrt unter dir und die Stadt erblickt dich zum ersten Mal, seit du den Fuß auf dieses Dach gesetzt hast. Was soll schon dabei sein es jetzt zu beenden? Welche Wege gibt es denn noch, mit diesem Reiseführer an der Seite. Einige, wenn du’s dir recht überlegst, aber willst du denn das, was am Ende liegt? Eigentlich willst du nur ihn, aber er ist nicht hier.
Die Tür hinter dir schnellt auf und prallt so laut gegen die Wand, dass es ein Wunder sein mag, dass die Angeln noch an der Wand festhalten. Dort steht er, außer Atem und mit Horror in seinen Augen. Du drehst deinen Körper zu ihm und sein Mund, zum Sprechen angesetzt, verzieht sich zu einem Schrei, erst dann bemerkst du, dass immer lauter werdende knarren unter deinen Füßen und das schlussendliche Brechen.
Fallen, egal wie es von außen scheinen mag, ist ein langsamer Prozess. In jedem Augenblick kommen neue Informationen dazu, wie der Wind, die Geräusche und unendliche viele Gedanken. Du siehst nicht dein Leben, du siehst deine Reue und davon hast du viel.
Er ist gekommen, hat dich aufgesucht und dennoch ist es schwierig das als Glück zu empfinden. Er ist auf dem Dach, aber du nicht mehr und du wirst es auch nie wieder sein.
Aber selbst wenn man in den ersten Momenten des Falls von der Reue zerfressen wird, ist in den letzten Sekunden alles still. Vielleicht hatten die Götter doch Mitleid. Vielleicht empfangen sie dich sogar.
(SP)